612 PMS

PMS, das kennen wir Frauen gut. Einmal im Monat, wenn wir emotional unzurechnungsfähig sind, sagen wir Frauen „Ich hab‘ PMS, ich kann da nichts für.“ Und manchmal, wenn wir einfach so etwas kratzbürstig sind, dann bewegen sich die Männer auf dünnem Eis, wenn sie sagen „Du hast doch eh nur PMS, wir reden nächste Woche weiter.“ Hihihi, ein lustiges Thema. Ich habe mal meinen Zyklus verfolgt, mit einer App, schön in rosa designt mit lustigen kleinen Smileys. Ich soll jeden Tag verschiedene Sachen eintragen. Ob und wie ich blute, wie meine Brüste sich anfühlen, wie traurig ich bin, wie zornig ich bin. Bei mir sind PMS und der Normalzustand schwer auseinander zu halten, weil ich grundsätzlich ein eher aufbrausendes Naturell habe.

Letztes Wochenende, genau in der Woche vor meinen Damenbauchschmerzen, da hatte ich wieder schlechte Laune. Alle waren mir zu dumm, und dann habe ich mich dafür geschämt so etwas zu denken. Die Grundsatzdiskussion am Samstagabend (behindertes Kind gebären, ja oder nein?) bei der plötzlich alle zu Fachmännern und Fachfrauen wurden (oh nein, ich habe die Männer zuerst genannt und noch nicht einmal „Fachkräfte“ geschrieben, um das Ganze zu gendern!) entfachte eine derartige Wut in mir, dass ich drauf und dran war mit Gartenstühlen zu werfen. Stattdessen habe ich meine Hähnchenschenkel weiter gegessen und versucht nicht zu weinen vor Wut. Zuhause angekommen, habe ich zur Kenntnis genommen, dass ich meinen Freund nicht vermisse. Der war schon zwei Tage im Urlaub, und ich fand es schön, zuhause allein zu sein. Das klang für mich nach einer Beziehungskrise. Mit diesem Gedanken bin ich eingeschlafen, um am nächsten Morgen mit einer inneren Traurigkeit zur Arbeit zu fahren.

Ich arbeite in der Behindertenhilfe, seit vier Jahren jetzt, und bin übrigens heilfroh, dass meine Arbeitgeber nicht abgetrieben wurden. 24  klasse Menschen wohnen in dem Haus, in dem ich arbeite. Nein, 23. Einer ist ein Arschloch. Aber auch die müssen leben. Darf ich so über Menschen mit Behinderungen reden? Die Antwort ist ja, das ist der Kern der Inklusion. Ich liebe es, zur Arbeit zu gehen. Ja ich weiß, manche finden das komisch. Aber bezahlt zu werden, um am Leben anderer Menschen teil zu haben, sie im Alltag zu begleiten und lustige Ausflüge zu machen, das ist schon nicht schlecht. Am Wochenende fängt mein Dienst morgens um zehn an. Vor zwölf Uhr finde ich gar nichts erfreulich, deswegen hat mir meine Traurigkeit da noch keine Sorgen bereitet. Als ich aber um 13 Uhr noch immer das Bedürfnis hatte zu weinen, wusste ich, dass etwas nicht stimme. Ich war mir sicher. Es wohnt ein Baby in meinem Bauch. Völlig durcheinander rief ich also meinen armen Freund an, um ihn über unsere neue Beziehungskrise und das Geschöpf in meinem Bauch zu informieren, dann weinte ich und dachte über gute KITAs in Fachhochschulen nach.

Eine Stunde später, Kaffe getrunken, Zigarette geraucht (ich hatte beschlossen, dass ich erst damit aufhöre, wenn das Drama ärztlich bestätigt wurde), saß ich bei meiner Kollegin. Im Fernsehen lief eine Sendung, in der ein kleiner verhärmter Koch von einem Fernseh-Profikoch aus den Schulden gerettet wurde. Das rührte mich so sehr, da musste ich weinen. Dann wurde mir klar, dass der Penner ein kompletter Schachkopf war, der noch nichtmal wusste, wie hoch seine Schilden waren („irgendwas zwischen 15 und 20 Tausen“). Ich musste leider gehen, das hatte mich zu wütend gemacht. Also besuchte ich den Arbeitskollegen im Erdgeschoss. Da lief eine Fernsehshow, in der alte Leute im Garten stehen und Schlager singen. Eine viel zu alte, viel zu dick geschminkte Frau strahlte in die Kamera und sang vom schönen Leben, hinter ihr tanzten alberne Gestalten in glitzernden Outfits. Dieser Anblick machte mich so sauer, dass mir schon wieder Tränen in die Augen stiegen. Den ganzen Tag düste ich durch das Haus wie ein Porsche Carrera (klein, flink, unpassend und übertrieben, mit dem Bedürfnis, etwas zu kompensieren. Der Vergleich hinkt etwas.). Langsam aber sicher wurde mir bewusst, dass ich heute nicht besonders zurechnungsfähig war. Ich bin überhaupt nicht schwanger. Der rote Teufel schlägt nächste Woche zu und überschüttet meinen Körper bereits eine Woche vorher mit Hormonen, um mich in die Knie zu zwingen. Dachte ich mir. Ich schaute mir meinen Zykluskalender an. Ja, immer eine Woche vorher bin ich wütend, zornig, traurig, denke dass ich schwanger bin und will Menschen schmerzen zufügen.  Mein Freund bestätigt diese Regelmäßigkeit.

Und ihr armen Männer müsst mit so etwas zurechtkommen. Ich möchte mich stellvertretend für alle Frauen, die einmal im Monat so irre sind wie ich, bei euch Männern dafür entschuldigen. Ach was, ich entschuldige mich gleich auch für Frauen die auch sonst irre sind.

Ich überlege ja jetzt, die Pille abzusetzen. Aber dann gibt es hinterher keine lustigen Geschichten mehr von meinem hormonellen Daneben-Benehmen. Ich überlege schon, ob solche Vorkommnisse wie in Wahnsinnig im Wartezimmer nur entstanden sind, weil ich zu der Zeit PMS hatte. Hoffentlich werde ich nicht normal.

 

Blutige Grüße,

Marta Dissevelt