YOLO dich selbst. „Man lebt nur einmal“ ist für mich einer der albernsten und beängstigendsten Sätze. Die Jugend nutzt ihn als Mantra, als Gutschein dafür, sich mit Drogen vollzupumpen und auf die Zukunft und andere Menschen zu scheißen. Gleichzeitig habe ich Angst vor dem, was nach dem „man lebt nur einmal“ kommt. Nichts? Werde ich wiedergeboren? Ich hoffe nicht, dann bekomme ich mit wie die Menschen und die Erde untergehen. Wir sind gerade schon dabei, den Weg dafür zu ebnen. Diese Gedanken machen mich betroffen und ängstlich, als würde ein schwarzes Loch mich aufsaugen. Zum Glück habe ich so viel zu tun, von morgens bis abends mit Arbeit und Uni, dass ich kaum noch Zeit habe mich damit zu beschäftigen. Deswegen bin ich gleichzeitig neidisch auf die YOLO-Fraktion. Die Leben wirklich, haben Zeit, schöne Dinge zu erleben. Sie haben keine Angst davor, den Job zu kündigen und um die Welt zu reisen oder auf die Autobahn zu fahren, irgendwo ins nirgendwo. Ich bin schon so lange in meinem Hamsterrad, dass ich, selbst wenn ich frei habe, das Gefühl habe etwas tun zu müssen. Bevor ich mich hinlege um nichts zu tun, muss ich erst aufräumen. Bis 16 Uhr spätestens, und dann muss ich wieder aufstehen und kochen. Und dann wieder saubermachen. Und dann muss ich mich mit Freunden treffen, weil ich die vernachlässigt habe. Dazu habe ich keine Lust, weil es dann eine Pflicht ist. Ekelhaft, als junger Erwachsener schon so drauf zu sein. Zeit für eine Krankschreibung vom Arzt. Attestiertes Faulenzen brauche ich. Danach einen 400€ Job, um einfach zu studieren und manchmal betrunken zu sein. Um meine Gedanken mit Kampfsport weg zu rationalisieren. Um meinen schwachen Körper meinen viel zu starken Gedanken anzupassen.
Menschen sind anstrengend. Irgendwas ist immer, jeder will was, jeder steht nur für sich selbst ein und verlangt von anderen, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Ich sauge das auf, versuche es zu bedienen und versage dabei, fühle mich schlecht, weil ich weiß, dass das Bullshit ist und ich mich um mich kümmern muss. Ich bin sehr wehrhaft und frech, aber mein Verständnis für jeden macht mir einen Strich durch die Rechnung. Deswegen kommen mir fast die Tränen, wenn ich Leute treffe, die anders sind. Die in sich Ruhen, sich für andere interessieren, von Herzen.
Mit einer Mutter, die nicht fähig war, ein warmes Mittagessen für ein Grundschulkind zu kochen oder die Bedürfnisse dieses Kindes wahrzunehmen, sondern die eigenen, wegen psychischer Erkrankung darüber stellt und von jetzt auf gleich wegen Lappalien ausflippt, musst du lernen andere Menschen wahrzunehmen. Sonst wirst du fertiggemacht. Gleichzeitig lernst du, dass du stark sein musst. Also: Man lebt alleine, man stirbt alleine, komm auch alleine durch. Aber enttäusche dabei bloß niemanden. Ein auslaugender Widerspruch in mir, ein Drahtseilakt, keine Chance das zu schaffen.
Mein Vater ist ein guter Mann, ein Ehrenmann. Immer hat er mich gerettet und das wird immer so sein. Aber gerade jetzt, wo ich jemanden brauche, der mich in eine Decke wickelt und sagt: scheiß auf die, du schaffst das. Muss er eben arbeiten. Und das ist in Ordnung, weil ich 22 bin und zu stolz um irgendwem zu sagen, dass ich gerade super schwach bin, eigentlich nicht nur gerade, sondern immer mal wieder.
Deswegen mache ich das jetzt alleine. Sage mir jeden Tag: Kinn hoch, weitermachen. Nächstes Jahr kannst du dich ausruhen. Mache Termine mit meinem Boss, bitte um eine Stundenreduzierung, setze mich weiter mit meinen bestussten Kommilitonen auseinander, deren Wertesystem aus Creditpoints und Fitnessstudios besteht. Mache weiter, male mir jeden Tag Bilder davon, wie es später mal wird. Ein Zuhause, wo nette Menschen sind und ein Dielenboden. Vielleicht ein Hund. Ein schwarzer Gürtel. Ein erfüllender Job. Eine Haltung, die noch immer stark und gleichzeitig ´mitfühlend ist, aber nicht so, dass Menschen, die mir nichts bedeuten mich zum Weinen bringen können. Vielleicht bin ich dann selber Boss. Auf jeden Fall will ich sieben Meter groß und unbesiegbar sein. Oder vier Meter groß und diplomatisch. Ganz habe ich mich noch nicht entschieden, und es wird noch dauern, weil ich ja mein Studium schieben musste, wegen der Arbeit.